Werkeinführungen

ACHT SÄTZE ZU DEUTSCHEN VOLKSLIEDERN für Streichquartett    
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Die Acht Sätze zu deutschen Volksliedern sind als Zyklus konzipiert und sollten deshalb bei Gesamtaufführungen in der angegebenen Reihenfolge gespielt werden. Darüber hinaus ist eine Darbietung „attacca“, mindestens aber das Halten der Spannung zwischen den Sätzen wünschenswert, da sich Schlüsse und folgende Anfänge aufeinander beziehen. Dessen ungeachtet sind auch Aufführungen einzelner Sätze oder Satzgruppen möglich, wobei die Reihenfolge dann je nach Gegebenheit eine andere sein kann.

RP

AUF DER SUCHE NACH DEM GLEICHGEWICHT für Flöte, Violine und Klavier      | 

Die Komposition Auf der Suche nach dem Gleichgewicht bezieht sich auf das Bild Opposizioni dinamiche (Dynamische Gegensätze) des italienischen Malers und Philosophen Pier Augusto Breccia (1943–2017). Während der Uraufführung wurde Breccias Gemälde großformatig auf die Bühne projiziert. Dies geschah innerhalb eines Konzert-Projektes Hommage à Breccia der italienischen Accademia Angelica Costantiniana di lettere arti e scienze, an dem sich weltweit 24 Komponisten beteiligten, die jeweils ein kurzes kammermusikalisches Werk zu einem selbstgewählten Bild Breccias beisteuerten. Die Gleichzeitigkeit der Wahrnehmung von Bild und Musik war für das Publikum bedeutungsvoll, wirkte in beide Richtungen erhellend und vertiefend.

Breccias Bild zeigt einen Seiltänzer über Hochhäusern aus einer surrealen Vogelperspektive; unter ihm spiegeln sich im Abgrund scheinbar die Häuser und wachsen nach unten in die Tiefe des Himmels. Symmetrien und rechte Winkel kontrastieren zu unregelmäßig verteilten Kreis- und Kugelformen.

Dem Musikstück liegt ein einfacher „symmetrischer“ Vorgang zugrunde: Die Flöte bewegt sich von e2 quintaufwärts zu h2, die Violine beginnt quinttiefer mit a1 und geht eine weitere Quinte nach unten zum d1. Dieses „Gleichgewicht“ kommt aber nicht deutlich zur Erscheinung, da die beiden Wege nicht geradlinig, sondern unregelmäßig zurückgelegt werden. Glissandi, Mikrointervalle, Tonschwankungen und Geräusche attackieren die Tonalität. Unberechenbare Akkordeinwürfe des Klaviers sorgen zusätzlich für Irritationen. So entsteht ein autonomes musikalisches Erlebnis – unabhängig von Breccias Bild.

RP

BALLADE für Viola und Harfe    

Nach dem klangfarblichen Zauber des Harfenliedes aus den „Bartók-Reflexionen“ (1983) und der Kombination von Mezzosopran, Flöte und Harfe in den „Sieben Gesängen“ nach Christian Morgenstern (1980) lag ein Duo zwischen lieblich-abgedunkeltem Streicherklang und Harfenschmelzklang förmlich in der Luft. Sechs Einzeltöne verbinden sich in der Einleitung der Ballade für Viola und Harfe zu einem kantablen Thema, das seinen Widerpart in der entweder auf Einzeltönen beharrenden oder sie umspielenden Bratsche findet. Es kommt zur energischen Auseinandersetzung, in deren Ergebnis die Bratsche Intervallik der Harfenstimme aufgreift und eine eigene Themenvariante einbringt. Die Verhältnisse kehren sich um und durchmessen heftig erregte und wiederberuhigte Gefühlszustände; ein besänftigendes Harfensolo schließt gleich einer Rahmenhandlung die Ballade ab.

Ulrike Liedtke. In: Programmheft zu Kammermusik aus der DDR mit Katharina Hanstedt (Harfe) und Klaus Schwärsky (Viola) am 20.3.1989 in der Akademie der Künste, West-Berlin

BALLADE für Violine und Harfe      |   | 

Die Ballade besteht aus sieben Strophen und wird von kreisförmigen Verläufen geprägt. Entwicklungen kehren immer wieder zu ihren Anfängen zurück, im kleinen wie im großen, wenn auch jedesmal unter anderen Voraussetzungen. So rotiert schon in der ersten Strophe, einem Harfensolo, eine 6-Ton-Gruppe, die sich dabei intervallisch vergrößert. Die folgenden beiden Strophen variieren diesen Verlauf unter Beteiligung der Violine, einmal im Gegeneinander, dann im Miteinander der Instrumente. Nach einer Generalpause spiegeln die Strophen 4–6 die Verläufe ihrer drei Vorgänger. Die beiden Instrumente haben ihre Rollen getauscht, die Violine beginnt also solistisch, die Bewegungsrichtung der Motive ist umgekehrt. Folgerichtig entspricht die siebente Strophe wieder der ersten und alles beginnt von vorn. Doch nur scheinbar: Im Verlaufe des Stückes wurde die Harfe nach und nach umgestimmt, so daß jetzt die Anfangstöne auf anderen Saiten gespielt werden.

RP. In: Programmheft zum Konzert Musik für Harfe mit Irina Donskaja (Harfe) und Andreas Finsterbusch (Violine) am 31.10.1989 im Plenarsaal der Akademie der Künste, Ost-Berlin

BARTÓK-REFLEXIONEN für Orchester      |   | 

Béla Bartók gehört zweifellos zu den bedeutendsten Komponisten unseres Jahrhunderts. Mit seinem Mikrokosmos, einer Sammlung von 153 Klavierstücken, schuf er in den Jahren 1926/37 nicht nur eine neue „Klavierschule“, sondern – was vielleicht noch wichtiger ist – auch eine Tonsatzlehre der neueren Musik, deren Anregungen lange noch nicht ausgeschöpft sind, ja weithin noch gar nicht in genügender Weise erkannt wurden, da dieses Werk ob seiner stillen Bescheidenheit und angesichts mancher marktschreierischen Tendenzen in der zeitgenössischen Musik allzu schnell von oben herab gesehen und zum „alten Eisen“ geworfen wird.

Durch meine Lehrtätigkeit über Jahre hinweg immer wieder gezwungen, mich mit dem Mikrokosmos zu beschäftigen (der Studienplan an der Leipziger Musikhochschule sieht vor, daß alle Studenten nach Bartók-Modellen kleine Stücke komponieren), machte ich eine Entdeckung nach der anderen, und aus einer anfänglichen Abneigung wurde höchste Bewunderung, ja Liebe zu diesem Werk.

Meinen Bartók-Reflexionen liegen zum Teil auch solche Modelle zugrunde, die ich allerdings mit anderen Techniken verbunden habe. Im besonderen „reflektierte“ ich zwei Stücke des Mikrokosmos: „Meditation“ und „Alternierende Terzen“. Doch meint der Titel „Reflexionen“ nicht nur die Bezüge zu Bartóks Werk, sondern die Tatsache des Spiegelns überhaupt. Dieses spielt in meiner Komposition eine dominierende Rolle. Melodien und Klänge finden ihre Spiegelbilder sofort anschließend oder gleichzeitig beziehungsweise spiegeln sich in sich selbst.

Es ist nun aber keineswegs erforderlich, daß diese Spiegelungen beim Hören als solche erkannt werden. Der Grund für ihre Anwendung liegt unter anderem – wie bei Bartók – in der Suche nach neuen Ton-Ordnungen, die an die Stelle der bis zum Ende des 19. Jahrhunderts üblichen Kadenz (die auch so etwas wie eine Spiegelung war) treten können.

Das etwa 10 Minuten dauernde Werk besteht aus zwei Hauptteilen. Der erste Teil ist weitgehend ruhig und leise und ohne geregelten Takt. Erst allmählich entstehen festere rhythmische Gebilde, und es kommt zu einer Steigerung. Dagegen hat der zweite Teil deutlichere Konturen, ist sehr rasch und trumpft stellenweise kräftig auf. Eine besondere Rolle spielt die Harfe. Sie beginnt mit einem Solo, welches an der Nahtstelle zwischen beiden Teilen wieder anklingt und am Ende die Streichinstrumente zu einer Coda im Duktus des ersten Teiles anregt.

RP. In: Programmheft des Orchesters des Theaters Stralsund zur UA am 2.5.1983 in Stralsund, Theater

BEFIEHL DU DEINE WEGE. Kleines geistliches Konzert für Bass, zwei Violinen (bzw. Violine und Zink)
und Positiv      | 

Das kleine geistliche Konzert Befiehl du deine Wege entstand auf Anregung von Martin Krumbiegel als Einlage zu Aufführungen der Weihnachts-Historie von Heinrich Schütz. Es wurde in das Rezitativ vor dem Intermedium VII eingefügt, nach den Worten „…und sie zogen durch einen andern Weg wieder in ihr Land.“ Zur von Martin Krumbiegel geleiteten Uraufführung am 15. Dezember 2006 in der Leipziger Versöhnungskirche sang Johannes G. Schmidt und es spielten Musiker der Capella Fidicinia Leipzig.

Da die von der Capella gewünschte Besetzung mit einem Zink außergewöhnlich ist, wurde vom Komponisten im Hinblick auf weitere Aufführungsmöglichkeiten von vornherein als Alternative eine zweite Violine vorgesehen.

Selbstverständlich kann das kleine geistliche Konzert Befiehl du deine Wege, welches die Melodie von Bartholomäus Gesius als Cantus firmus verwendet, auch ohne den Zusammenhang mit der Weihnachts-Historie von Schütz aufgeführt werden.

RP

BLÄSERQUINTETT    

Im ersten Satz bewegen sich die Instrumente rhythmisch relativ frei und unabhängig voneinander, können aber enge Tonräume nicht verlassen.

Im zweiten Satz geht auch die rhythmische Freiheit der Einzelnen nach und nach verloren. Einem penetranten Marschrhythmus, der von der Flöte vorgegeben wird, schließt sich ein Instrument nach dem anderen an und folgt ihm im Gleichschritt. Als jegliche melodische und rhythmische Vielfalt in Monotonie erstorben ist, wird deutlich, dass diese absolut gleichförmige Bewegung ins Nichts führt.

Der dritte Satz knüpft an Elemente der vorangegangenen Teile auf neue Weise an. In einem Rotationsverfahren verbinden sich jeweils zwei Instrumente in engem Tonraum miteinander, wobei eine Stimme der anderen metrisch frei im Kanon folgt; die drei anderen Instrumente spielen gemeinsam, aber auf verschiedenen Tonhöhen in einer Quartsextakkord-Mixtur eine Verszeile des Luther-Chorals „Verleih uns Frieden gnädiglich“. Darauf folgt ebenfalls reihum jeweils eine freie Solo-Kadenz. Mit dem gemeinsamen „Amen“ wird der Satz beschlossen.

RP

DE PROFUNDIS. Musik für Blechbläser, Harfe und Streicher      |   | 

Aus der Tiefe, vom Einzelton E1 ausgehend, steigen Streicherstimmen empor, die sich – unterbrochen, getrübt, aber auch angeregt von Posaunen und Trompeten – zu Klangbändern verdichten, zu- und abnehmen, an- und abschwellen, sich allmählich ausweiten, zu Gruppen vereinigen und melodisch konturieren. Die Blechbläser fahren immer energischer dazwischen und steigern die melodische Bewegung, die nach einem Kulminationspunkt in die Tiefe zurückfällt. Die Harfe tritt jetzt solistisch hervor und führt die Streicher erneut aufwärts. Mit einem zarten Einzelton e4 verklingt die Musik in der Höhe.

RP. In: Programmheft des Gewandhausorchesters Leipzig zur UA am 19.11.1981, Leipzig, Neues Gewandhaus


Zu oft erklingen zeitgenössische Kompositionen nur anläßlich ihrer Uraufführung. Hingegen kann Reinhard Pfundt, der 1951 in Burgstädt geborene Komponist, über mangelnde Aufführungen nicht klagen. Klangschönheit und philosophische Tiefe seiner Musik lassen eine an der Polyphonie Bachs und der Melodik Wagners geschulte Tonsprache erkennen, deren eigenwillige Harmonik neue Wege erschließt. Die Musik für Blechbläser, Harfe und Streicher „De profundis“ erklang erstmals 1981 zur Eröffnung des Neuen Gewandhauses zu Leipzig. Psalm 130 „Aus der Tiefe rufe ich, Herr zu Dir“ gehört zu den am häufigsten vertonten Psalmen. Pfundt komponierte eine groß angelegte Steigerung innerhalb der Bogenform, wühlt auf, versöhnt und läßt geläutert zurück.

Ulrike Liedtke: Reinhard Pfundt „De profundis“. In: Programmheft zum Sinfoniekonzert des Philharmonischen Orchesters Frankfurt/Oder am 23.5.1993 in der Musikakademie Rheinsberg


„De profundis – Musik für Blechbläser, Harfe und Streicher“ bezieht sich im Titel unmittelbar auf den 130. Psalm, einen Bußgesang, beginnend mit den Worten „Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir. Herr, höre meine Stimme; lass deine Ohren merken auf die Stimme meines Flehens!“, schließend mit der Gewissheit: „denn bei dem Herrn ist die Gnade und viel Erlösung bei ihm; und er wird Israel erlösen aus allen seinen Sünden.“ Pfundts Musik ist mit dem Text des Psalms direkt konnotiert, indem das Bild musikalisch konsequent umgesetzt und der Verlauf tatsächlich von der Tiefe sukzessive in höhere Lagen geführt und in Besetzung, Dynamik, Duktus Stück für Stück intensiviert wird. Das Ganze besitzt aber auch Symbolcharakter: Auf Furcht und Verzweiflung folgt die Aussicht auf Erlösung. Und auch die ist am Schluss des Orchesterstücks musikalisch formuliert: in Form eines langsamen Streichersatzes in hohen Lagen, bisweilen mit Einwürfen der Harfe, wobei sich – wenn man es so hören will – diese Passage ausnimmt wie eine in Töne gesetzte Erscheinung.

Christiane Schwerdtfeger: Nicht abseits vom Hörer. In: GewandhausMAGAZIN Nr. 65, Winter 2009/10.

DREI STÜCKE für Oboe und Schlagzeug      |   | 

Die 1977 komponierten Stücke sind strukturell und durch die Wahl des Instrumentariums deutlich voneinander abgesetzt. Ihre Charaktere könnte man mit „dramatisch“, „lyrisch“ und „tänzerisch“ bezeichnen.

Das erste Stück beginnt mit harten Schlägen auf vier Tomtoms und ein Tamtam sowie mit wilden, abgerissenen Oboenpassagen, die in einen Spaltklang mit Flatterzunge münden. Der Mittelteil bringt einen Dialog der von drei Becken und Triangel dezent begleiteten Oboe mit sich selbst; heftige Floskeln und leise Flageolettöne wechseln einander ab. Vehement fallen die Gesten des Anfangs ein und steigern sich noch (Doppeltriller der Oboe). Aber am Ende behalten die zarten Töne das letzte Wort.

An das erste Stück anknüpfend, erklingt im zweiten eine weiträumige Oboenmelodie (Töne e, fis, gis, d). Das Vibraphon fügt die übrigen acht Töne der chromatischen Skala in improvisatorisch anmutenden Koloraturen hinzu.

Das dritte Stück gliedert sich in sechs Abschnitte. Terzen und Sexten der Oboe in synkopischer, hüpfender Bewegung prägen die Teile 1, 3 und 5. Anfangs begleiten vier Bongos und die Kleine Trommel, zuletzt spielt die Oboe zusammen mit dem Xylophon in noch rascherer Bewegung. Dazwischen liegen zwei Abschnitte, die entfernt an den „Dialog“ des ersten Stücks erinnern; wieder sind drei Becken und Triangel beteiligt, dazu kommen zwei Holzblocktrommeln. Die Oboe beschließt das Stück leise mit einer Erinnerung an diese relativ ruhigen Zwischensätze.

RP. In: Programmheft zum Kammerkonzert anlässlich der 7. DDR-Musiktage am 22.2.1986 in Berlin, Haus der Ungarischen Kultur

DREI STÜCKE für Violine und Klavier      |   | 

Ein hervortretender Grundzug in der Musikentwicklung des 20. Jahrhunderts ist in der ungeheuren Erweiterung der äußeren Klangmittel bis in den mikrotonalen, elektro-akustischen oder nur noch geräuschhaften Bereich hinein zu erkennen. Doch diese Expansion im Klanglichen brachte nicht zwangsläufig eine Bereicherung der musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten mit sich, sondern führte im Gegenteil auch zu einer Entwertung des einzelnen Tones und seiner inneren musikalischen Kraft. Man könnte sagen: Ton-Qualität wurde oft durch Klang-Quantität ersetzt. Oder wie Johannes Weyrauch formulierte: „Wir werden viel zu viel mit Musik gefüllt, anstatt von ihr erfüllt zu werden.“

Die Drei Stücke für Violine und Klavier sind hingegen durch eine Beschränkung auf wenige Töne und Gesten gekennzeichnet, deren variierte Wiederholungen zur Vertiefung des Erlebens führen sollen. Das erste Stück Vergangene Gestalten erinnert vielleicht an musikalische Ausdrucksweisen des 19. Jahrhunderts und stellt in ständiger Abwandlung immer dieselbe Frage, die aber offenbleibt. Im zweiten Stück Gefangen im Entfalten gewinnt ein zunächst unscheinbarer Impuls, dem unwidersprochen gefolgt wird, zunehmend an Kraft und Gewalt. Das dritte Stück Empfangenes erhalten eröffnet schließlich in großer Ruhe einen Klangraum, der sich wie ins Unendliche weitet.

RP. In: Programmheft zum Kammermusikabend mit Werken von Reinhard Pfundt und Johannes Weyrauch am 13.11.2005 in Böhlitz-Ehrenberg

EXAUDI. 4. Streichquartett      |   | 

„Exaudi, Domine, vocem meam, qua clamavi ad te; miserere mei, et exaudi me!“ – „Höre, Herr, meine Stimme, die zu Dir ruft; erbarme Dich meiner und erhöre mich!“ Von diesem Psalmvers (27,7) leitet sich der Name des Sonntags Exaudi ab, der im Kirchenjahr zwischen Himmelfahrt und Pfingsten steht. Jesus Christus ist durch die Himmelfahrt der äußeren Wahrnehmung entschwunden. Der versprochene Tröster, der heilende Geist, hat die Menschheit noch nicht erreicht. So scheint sie von Gott verlassen zu sein und fühlt sich hilflos und schwach. Diese Situation kann man durchaus als zeitlos-gegenwärtig empfinden.

Das etwa 10 Minuten dauernde einsätzige Streichquartett besteht aus drei Abschnitten. In einer kurzen Einleitung wird das unverstandene Himmelfahrts-Ereignis, das scheinbare Verschwinden ins Nichts fast zwanghaft immer wieder reflektiert, wobei jeweils ratlos fragende Pausen bleiben. Der „Exaudi“-Hauptteil steigert sich von leiser Klage zu lautem Rufen. Auch hier spielen Antwort suchende Pausen eine große Rolle. Nachdem sich der subjektive Ausdruck ermattend zurücknimmt, kann sich im dritten Teil der „Tröster“ von oben herabsenken, die menschlichen Seelen ergreifen und mit sich emporheben zu einer neuen „Himmelfahrt“.

In die Komposition sind zwei Zitate aus Wagners Parsifal eingearbeitet, deren bewusste Wahrnehmung allerdings für das Erleben der musikalischen Vorgänge nicht erforderlich ist. Sie verweisen auf die „heilbedürftige Menschheit“ und deren Rettung durch den „lebendigen Glauben“.

RP. In: Programmheft zur UA durch das Novalis-Quartett am 7.11.2005 in der Neubaukirche Würzburg

FANTASIE ÜBER LUTHERS „AGNUS DEI“ für Orgel      |   | 

Im Jahre 1983 hatte sich der „kalte Krieg“ durch die geplante Stationierung von Atomraketen in beiden deutschen Staaten bedrohlich verschärft. Die Gefahr einer tödlichen Vernichtung war in unmittelbare Nähe gerückt. In demselben Jahre wurde aber auch des 500. Geburtstages von Martin Luther gedacht. Beides bildete den Anlass zur Komposition der Orgelfantasie über das „Agnus Dei“.

Dreimal wird in Luthers „Agnus Dei“ Christus als Lamm Gottes, welches die Sünde der Welt trägt, angerufen; zweimal mit der anschließenden Bitte um Erbarmen, beim drittenmal mit der Bitte um Frieden. Der Vorlage entsprechend, hat auch die etwa 15 Minuten dauernde Fantasie drei Teile, die jeweils in das Zitat einer Zeile des „Agnus Dei“ münden. Diese Zitate erscheinen allerdings melodisch modifiziert und auf eine Zwölftonreihe projiziert. Die dadurch entstehende „Krümmung“ der ursprünglichen Melodie gibt ihr einen stärker flehenden Ausdruck, der vom verhaltenen pp beim ersten Auftreten über f beim zweiten bis zum schreienden fff beim dritten Erklingen gesteigert wird.

Die „Erbarmungslosigkeit“ und „Unerlöstheit“ von sich ständig zwanghaft mechanisch wiederholenden zwölftönigen Abläufen wurden in den drei den Zitaten jeweils vorangehenden Hauptabschnitten bewusst herausgestellt: Im ersten Teil hört man nach dem dreimaligen „Christe“-Ruf aus der Tiefe (die anfängliche große Sekunde des Originals) vor allem durch Segmentierung der Reihe erzeugtes Gestammel, im zweiten Teil ein dumpf klagendes, wiederholt resignativ stockendes und sich nur mühsam emporquälendes Fugato, im dritten ein schmerzliches, schließlich in besinnungslose Raserei mündendes Aufbäumen.

Auch das dynamisch exzessiv abschließende „Amen“ mit dem Cantus firmus im Pedal ist von Dissonanzen überlagert, die sich bis zum Schluss nur teilweise lösen. Zu dieser brutalen Klangwelt kontrastiert das dem „Amen“ vorangehende „Dona nobis pacem“ nicht nur durch seine außerordentlich friedliche, nach innen gerichtete Haltung im ppp, sondern es überwindet für ein paar Augenblicke auch den ausweglosen Kreislauf der gleichgeschalteten zwölf Töne, indem es einer anderen, hierarchischen Tonordnung folgt.

RP. In: Programmheft zu Orgel Plus, Konzert mit Seung Yon Kang, am 8.12.2006 im Großen Saal der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“


Die „Fantasie über Luthers Agnus Dei folgt zwar in ihrem dreiteiligen Aufbau sowohl der Textvorlage als auch der Melodie Martin Luthers, ist aber nicht für den liturgischen Gebrauch bestimmt. Sie verleiht als freies Konzertstück vor allem den an innerer Zerrissenheit und äußerem Unfrieden leidenden und Hilfe suchenden Menschen musikalischen Ausdruck. Der vorwiegend dissonanten Klangwelt steht gegen Ende mit dem Dona nobis pacem – „Gib uns Deinen Frieden“ – ein dur-moll-tonales Zitat gegenüber und das schließende Amen lässt auf eine Erfüllung dieser Bitte hoffen.

RP

IN DIE TIEFE. Collage zu Samuel Scheidts VIII. Symphonia aus dem A für Sopranblockflöte, Violine, Violoncello, Kontrabass und Cembalo      |   | 

Die Sammlung von 70 Sinfonien, welche Samuel Scheidt im Jahre 1644 veröffentlichte, enthält jeweils zehn Instrumentalstücke in jeder der sieben damals gebräuchlichen Tonarten. Erstaunlich ist die Vielfalt der kompositorischen Lösungen. In der 68. Sinfonie – der achten aus dem A, also in der Tonart a-Moll – verzichtet Scheidt auf jegliche Etablierung, Entwicklung oder Entfaltung eines neuen, eigenständigen musikalischen Gedankens. Stattdessen gibt es von Anfang an nur ein ständiges Absinken und wiederholtes Zu-Ende-Kommen unter Verwendung eines seinerzeit allgemein gebräuchlichen Sequenz-Kadenz-Modells. Lediglich in der kurzen Coda steigt überraschend eine Linie empor zum parallelen C-Dur, wird aber danach wieder zurückgenommen.

Diesem Vorbild folgt das Stück „In die Tiefe“. Ebenfalls unter Verzicht auf neue Musik assoziiert die räumlich und zeitlich erweiterte Abwärtsbewegung allerdings zusätzlich Erreichnisse aus 350 Jahren Musikgeschichte seit Samuel Scheidts Tod.

RP. In: Programmheft zur UA im 56. Außergewöhnlichen Konzert des Sächsischen Musikbundes (Samuel Scheidt – ein moderner Meister?) am 22.11.2004 in der Stadtbibliothek Leipzig

INTRODUKTION UND KANON für Orchester      | 

Das Orchesterstück „Introduktion und Kanon“ verweist auf Grundpositionen, die Reinhard Pfundt auch nach mannigfacher Beschäftigung mit avancierten Techniken für seine Tonsprache behauptet: klar gegliederte Form – strenger Satz bei überschaubaren harmonischen Verhältnissen – logisch zwingende Abläufe – lebhafte Farbwirkungen durch geschickt eingesetzte Timbre-Kontraste.

Der erste Teil des Werkes, die Introduktion, beginnt mit einem Klangteppich in dunklen Tönen, aus denen aber schon bald leidenschaftliche Bewegung in greller Beleuchtung erwächst: Blechbläser und Schlagzeug führen an in dem Sturm auf einen dynamischen Gipfel, der das ganze Instrumentarium einbezieht. Nach diesem dramatischen Höhepunkt ebbt die Erregung in Wellen ab, bis gleichsam die Unbeweglichkeit des Ausgangspunktes wieder erreicht ist.

Der zweite Teil erweist sich durch den straffen 12/8-Rhythmus und den trockenen Klang der zunächst eingesetzten Schlaginstrumente als betont streng markiert gegenüber der balladesken Freiheit des Vorangegangenen. Da das Thema des Kanons eigentlich nur eine rhythmische Figur ist, die erst später melodische Qualitäten entfaltet, wird gewissermaßen die Klangwelt mechanischer Musikinstrumente zitiert (der Einsatz von Vibraphon und Xylophon und die eigentümliche Behandlung des obligaten Klaviers verstärken diesen Eindruck). Die Ausstattung der polyphonen Satzweise mit diesem besonderen Kolorit ist ein origineller Gedanke, und der schon von den barocken Komponisten angestrebte Gegensatz zwischen dem phantasievoll schweifenden Präludium und dem strengen Ablauf der Fuge wird hier in zeitgenössischem Gewand sehr wirkungsvoll vorgestellt.

Heidemarie Stahl. In: Programmheft zur UA durch das Staatliche Sinfonieorchester Thüringen am 28.10.1982 im Kreiskulturhaus Gotha

INVENTIONEN ZU BACH für Klavier      |   | 

Die Inventionen zu BACH entstanden anlässlich des 300. Geburtstages von Johann Sebastian Bach, zunächst für Streichquartett, danach für Streichorchester. Beide Versionen wurden im Bachjahr 1985 in der Georgenkirche Eisenach bzw. im Gewandhaus zu Leipzig uraufgeführt und mit Preisen ausgezeichnet. Die Uraufführung der im selben Jahr entstandenen Klavierfassung spielte Christoph Taubert am 20. November 1987 im Bachsaal der Leipziger Kongresshalle.

Außergewöhnlich ist bei den Inventionen zu BACH die Verknüpfung der Dur-Moll-Tonalität der Bach-Zeit mit der Reihentechnik des 20. Jahrhunderts. Dramaturgisch stützt sich der Zyklus in der Satzfolge vorrangig auf die kontrastierenden Charaktere der Intervalle, beginnend mit der konflikthaften Schärfe der Septimen und endend mit der gelösten, schwungvollen Bewegung der Sekunden. Damit einher geht die Genese des Tonsymbols b-a-c-h: In der ersten Invention noch getrennt in die Töne b-a am Anfang und c-h am Ende, erscheint es in der letzten als geschlossener Namenszug Bachs.

RP


1. Septimen: Mit äußerster Energie bis zum Schluß unerbittlich vorandrängend.

2. Quinten: Wie ein stilles Gewässer, welches ab und zu an der Oberfläche mehr oder weniger aufgewirbelt wird und sich wieder glättet; die grundsätzliche, übergeordnete Ruhe muß immer spürbar bleiben. (Das Bild hat beim Komponieren keine Rolle gespielt.)

3. Terzen: Zwar temperamentvoll, fröhlich, aber nicht hektisch und forciert; mit etwas Distanz und Überlegenheit.

4. Oktaven: Ernst, klagend, schmerzlich, resignierend.

5. Sexten: Strenges motorisches Tempo; dynamisch mit einer gewissen Verhaltenheit, schemenhaft-unwirklich.

6. Quarten: Mit Pathos, auftrumpfend.

7. Sekunden: Anfänglich fragend, etwas unsicher (Spannungspausen!), „misterioso“ (aber trotzdem im Tempo!), dann zunehmend frisch, lebendig, spritzig, kraftvoll (Oktaven), mit Schwung.

RP. Aufführungshinweise in einem Brief an Christoph Taubert, 28.11.1985

INVENTIONEN ZU BACH für Streichorchester      |   | 

Johann Sebastian Bach hat mit seinen „Inventionen“ und umfassender noch im „Wohltemperierten Klavier“ den Kreis der jeweils zwölf siebenstufigen Dur- und Molltonarten durchschritten und dabei auch die unterschiedlichen Charaktere der einzelnen Tonarten zur Erscheinung gebracht. Dieses Prinzip habe ich auf die Intervalle übertragen und versucht, in jeder der sieben Inventionen eines dieser musikalischen Urphänomene auf charakteristische Weise erklingen zu lassen.

Dabei prägen die Intervalle weniger den Zusammenklang der Stimmen als vielmehr deren Melodik, so daß jeder Spieler aufgefordert ist, die Intervalle zu erleben und zu gestalten. Eine Ausnahme macht nur der mittlere 4. Satz. Es stehen hier nicht nur zwei Intervalle gleichzeitig im Mittelpunkt – allerdings zwei, die in ganz besonderer Weise miteinander verwandt sind –, sondern die Oktaven erscheinen auch als einziges Intervall nicht melodisch, sondern im Zusammenklang jeweils zweier Stimmen.

Die Struktur der „Inventionen zu BACH“ ist außerdem durch sieben Zwölftonreihen bestimmt, deren erste mit den Tönen B-A beginnt und mit C-H endet und in deren Folge sich diese Töne systematisch einander nähern, um sich schließlich in der Mitte der siebenten Reihe zu treffen, so daß in der letzten Invention die Tonfolge B-A-C-H erklingen kann.

Eine solche strenge Disziplin in der Konzeption und Komposition war für mich angesichts der gerade in dieser Beziehung bewundernswerten Werke Bachs Verpflichtung. Darüber hinaus war ich – gerade dadurch – bestrebt, auch zum fühlenden Herzen des Hörers zu sprechen, so wie sich auch in Bachscher Musik rationale Ordnung mit großem emotionalem Reichtum verbindet.

RP. In: Programmheft zur UA im Messe-Sonderkonzert des Bachorchesters des Gewandhauses zu Leipzig am 1.9.1985, Leipzig, Neues Gewandhaus


Die Arbeit mit den jeweils bevorzugten Intervallen bestimmt den melodischen und harmonischen Charakter eines jeden Satzes.

Im ersten, „sehr heftig“ vorandrängenden Satz dominieren Septimen, die zwischen dem Anfangsintervall b-a und dem Schlußintervall c-h angespannte motivische Gestik gegen repetitive Widerstände ausprägen.

Im Kontrast dazu folgt dann an zweiter Stelle ein leises, zart besaitetes und „schwingend“ bewegtes Stück, dessen auf Quinten basierendes motivisches Material filigranhaft verknüpft wird und an die Impression eines Wiegenliedes denken läßt.

Der dritte Satz gewinnt seinen locker federnden, grazil tänzerischen Impuls aus der Kombination von schnellen Drehfiguren und Pendelmotiven in Terzen, wobei das swingende Geflüster auch scharfzüngige Repliken hervorkehrt.

Die formale Mitte und den expressiven Höhepunkt des kleinen Zyklus bildet eine „schwer“-gewichtige Deklamation, die sich in den Violinen und stets oktavierenden Bratschen erst einstimmig, dann in verschiedenen Kombinationen als zweistimmiger Kanon entwickelt und dramatisch zuspitzt, um dann zum lamentosen Charakter des Anfangs zurückzufinden.

Der fünfte Satz betont brillante und virtuose Momente des Streicherspiels, indem er die fälligen Sexten zu dreiklängigen Arpeggien gruppiert und in fixierter Lage, als Dialog verschiedener tonaler Schichten, gegen- und ineinander fügt.

Die Quarten-Strukturen des sechsten Satzes formieren sich zu einem rezitativartigen Klangbild von rhythmisch „sehr bestimmt“ skandierten Motiven, die auf konflikthafte Rhetorik zielen.

Im letzten Satz eröffnet schließlich das akkordisch gesetzte Sekund-Motiv des B-A-C-H eine fugierte Exposition, die sich – in „äußerst raschem“ Tempo – furios steigert und dabei das symbolische Motto zunehmend glanzvoll zur Geltung bringt.

Frank Schneider. In: Programmheft zum Eisler-Preis-Konzert am 3.10.1986, Berlin, Schauspielhaus

INVENTIONEN ZU BACH für Streichquartett      | 

Anknüpfend an die Tonartenzyklen J. S. Bachs, speziell dessen Inventionen, entstand ein Zyklus, der die unterschiedlichen Charaktere der Intervalle in den Mittelpunkt rückt. Darüber hinaus liegen den Sätzen Zwölftonreihen zugrunde, die so strukturiert sind, daß sie nicht nur die jeweiligen Intervalle enthalten, sondern den Tönen b-a-c-h immer zentralere Stellungen zuweisen. Die Töne erklingen in der ersten Invention getrennt (b-a am Anfang, c-h am Ende des Satzes), in der letzten als geschlossene Tonfolge. Das Interludium resümiert zunächst die Intervalle der drei vorangegangenen Inventionen und nimmt nach einer Generalpause die Strukturen der folgenden drei Sätze vorweg.

RP. In: Programmheft zum Kammerkonzert des VKM am 8.4.1987 in Leipzig, Alte Handelsbörse.


Pfundt behandelt die Zwölftontechnik anders als ihr Entdecker Schönberg. Beeinflußt bei diesem die durch eine Reihe festgelegte Ordnung der zwölf Töne unseres Tonsystems die thematische und harmonische Qualität etwa wie die Tonart den Grundcharakter einer tonalen Komposition, formt Pfundt in seinen „Inventionen“ Reihen, die nur einem Zweck dienen: die „Geste“, die „Gebärde“ der Intervalle herauszuarbeiten, die für ihn mehr sind als bloße Tonfolgen. Für sechs seiner sieben „Inventionen“ – bei Schönberg fußen ganze Werke auf nur einer Reihe – entwickelt Pfundt eine eigene Reihe, die nur aus dem Intervall besteht, dessen Charakter erlebt werden soll. Kunstvoll sind sie aufeinander bezogen: Jeweils die erste und siebente, zweite und sechste, dritte und fünfte, basieren auf Komplementärintervallen. Ihre Hälften stehen spiegelbildlich zueinander. Und das Tonsymbol b-a-c-h wandert von den Rändern der ersten in die Mitte der letzten, bis in der siebenten Invention die Hommage à Bach nicht nur in der Verwandtschaft deutlich wird, aus kleinsten Bausteinen ganze Stücke zu formen, wie sie Bach uns in seinen „Inventionen“ vorgeführt hat, sondern eben auch im b-a-c-h-Motiv hörbar.

Werner Danneberg: Mit Hilfe der Musik über Wohin und Woher unserer Kultur nachdenken. Zur Veranstaltung Bach im Gespräch am 25.1.1992, Eisenach, Bachhaus. In: Thüringer Allgemeine, 30.1.1992

KONZERT für Flöte und Orchester      |   | 

Der Partitur ist folgender Text vorangestellt:

Wandelt sich rasch auch die Welt
wie Wolkengestalten,
alles Vollendete fällt
heim zum Uralten.

Über dem Wandel und Gang,
weiter und freier,
währt noch dein Vor-Gesang,
Gott mit der Leier.

Nicht sind die Leiden erkannt,
nicht ist die Liebe gelernt,
und was im Tod uns entfernt,

ist nicht entschleiert.
Einzig das Lied überm Land
heiligt und feiert.

(Rainer Maria Rilke, Die Sonette an Orpheus, 1. Teil, XIX. Sonett, 1922)

Die ersten acht Verse dieses Sonetts lassen sich dem 1. Satz, die nächsten vier dem 2. Satz, die beiden letzten dem 3. Satz zuordnen.

RP

KONZERT für Orchester      |   | 

Das Konzert ist bogenförmig in fünf Teile gegliedert, die unmittelbar aufeinander folgen: Prolog – Hauptsatz I („Parallelen“) – Hauptsatz II („Parabel“) – Hauptsatz III („Permutationen“) – Epilog. Die Hauptsätze I und III bilden ein Gegensatz-Paar: Im ersten Satz eruptive Ausbrüche, extreme Spielweisen bis zur Brutalität im Orchester, gleichzeitig („parallel“) triviale Pseudovolkstümlichkeit in der Solovioline, also ausufernde, übersteigerte Emotionen in verschiedenen Erscheinungsformen, sich gegenseitig in Frage stellend; im dritten Satz dagegen streng mathematisch determinierte Strukturen („Permutationen“), die ganz dem rechnenden Verstand zu entspringen und Gefühl auszuschließen scheinen. Es zeigt sich dann aber doch, daß beide – Emotionalität und Rationalität – ohne einander nicht sein können.

Während diese beiden Sätze „moderne“ Kompositionsweisen vorstellen, schlägt der Hauptsatz II einen Bogen von der Vergangenheit zur Zukunft. Mit der Gregorianik beginnend, huscht traumartig in zehn Visionen die europäische Musikgeschichte vorbei. Dieser Satz ist in Form einer Passacaglia gestaltet, deren zwölftöniges Thema sich in fünf Etappen niedersenkt und dabei immer massiver wird, worauf es sich umkehrt und in weiteren fünf Stufen wieder nach oben steigt. Im Scheitelpunkt dieser „Parabel“ aus 10 x 10 Takten erklingt ein strahlender C-Dur-Akkord (im Zusammenhang mit einem Zitat aus Wagners „Ring des Nibelungen“).

Eingerahmt werden die drei Hauptsätze durch Prolog und Epilog, die ebenfalls miteinander korrespondieren. Während der Prolog in drei Stufen mit größer werdenden Intervallen (Sekunden, Terzen, Quarten) das Konzert eröffnet, schließt sich der Kreis im Epilog durch deren abnehmende Komplementärintervalle Septimen, Sexten und Quinten. Dabei stehen sich noch gegenüber die im Prolog dominierende Oboe d’amore und der Glockenklang im Epilog, der vielleicht nicht nur als Geläut, sondern wie eine Läuterung erscheinen kann.

RP. In: Programmheft zum Messe-Sonderkonzert des Rundfunk-Sinfonieorchesters im Neuen Leipziger Gewandhaus am 2.9.1986

MÖWENFLUG. Lied für Mezzosopran und Klavier    

Das Lied zeichnet durch die Singstimme und das Klavier die „unermüdlich gleichen“ Kreise des Möwenflugs in der Höhe und deren Spiegelung in der Wassertiefe nach. Das zunächst freundliche äußere Bild trübt sich mit der aufkommenden inneren Beklemmung des Betrachters harmonisch zunehmend ein, und die weiterhin haltlose ostinate Bewegung bekommt etwas Beängstigendes. In der letzten Strophe wird der Blick nicht mehr nach außen, sondern nach innen gerichtet. Die Musik hält nun auch wiederholt inne und lässt die Fragen nach der Beschaffenheit des eigenen Wesens durch Pausen unbeantwortet im Raume stehen.

RP. In: Booklet zur CD Momentaufnahme, kr 10108, 2011

MUSIK FÜR JUGENDSTREICHORCHESTER mit einem Thema von Heinrich Schütz      | 

Fiktiver Plan eines musikalischen Werkes:

1. Satz: „Genese“ (Entstehung, Bildung)
Aus dem Nichts klingen drei Bratschentöne, nacheinander, von oben nach unten. Sie tasten einen Klangraum ab, eine Terz. Dieses Intervall wird von solistischen Streichern aufgegriffen, erklingt mehrmals, wird durch neue Töne erweitert, in verschiedenen Gestalten gekoppelt. Der Klangraum vergrößert sich. Musik entsteht aus der Struktur von ursprünglich drei Tönen. Der Dirigent gibt nur den Einsatz neuer Instrumente an. Die Musiker bestimmen die Dauer ihrer Töne selbst.

2. Satz: „Sinfonia“ (mehrstimmiges Instrumentalstück)
Der geschaffene Klangraum ermöglicht die Aufführung einer Komposition von Heinrich Schütz (1585–1672). Die Einzelstimmen aus dem 1. Satz finden zum lateinischen Konzert („Domine, labia mea aperies“ aus den Symphoniae Sacrae I) zusammen. Ein Stück wohlgeordneter Musik, vierstimmiger Satz im 4/4-Takt, Terzenstruktur. Lebendiger Stoff aus vergangener Zeit.

3. Satz: „Partita“ (einzelner Satz einer Variationsreihe)
Ungebrochene Stimmigkeit und ästhetische Klangschönheit zerfallen in Einzelnes: Terzen, jetzt in unregelmäßiger Abfolge. Das Detail wird nach fast vier Jahrhunderten neu gehört. Sein Umfeld verändert sich.

4. Satz: „Metamorphose“ (Verwandlung)
Nicht nur die Abfolge und Kombination der Terzen, auch sie selbst als Intervall werden von den einzelnen Instrumentengruppen erprobt, in kleinere Tonabstände zerlegt, durch neue Nachbartöne angereichert. Neues Ausgangsmaterial entsteht.

5. Satz: „Lamento“ (Klagelied)
Behutsam wird das neu gefundene Tonmaterial angewendet. Ein fünftöniges Klagemotiv peilt Zieltöne an und kehrt zu seinem Ausgang zurück. Dabei verändert es sich ständig, erschließt alle zwölf Halbtöne der Oktave.

6. Satz: „Fugato“ (Fuge = Flucht, Verfolgung; Fugato = fugenartig gearbeiteter Satz)
Der Abstand zwischen Ausgangston und Zielton umkreiste die Quinte – das Intervall, das jeweils zwischen den vier Saiten eines Streichinstrumentes liegt und überdies in der Sinfonia nach Heinrich Schütz häufig erscheint. Das Quintenthema der 1. Violinen wird verfolgt – von den Bratschen, dann von den 2. Violinen, zuletzt gemeinsam von Violoncelli und Kontrabässen.

7. Satz: „Sinfonia“
Die Verfolgung hat die Sinfonia wiedergefunden! Aber – klingt sie jetzt nicht irgendwie anders?

Ulrike Liedtke. In: Programmheft zum Schülerkonzert am 21.2.1987 auf der XI. Musik-Biennale Berlin

MUSIQUE POUR SANSSOUCI für Orchester      | 

Die „Musique pour Sanssouci” beginnt in energischem Gestus mit dramatischen Zuspitzungen, die am Ende des ersten Satzes zu einer gewissen Erschlaffung führen. Die Harfe schafft den Übergang zum unmittelbar folgenden zweiten Satz. Hier herrschen ruhig atmende Bewegungsformen; nur in der Mitte führt ein sich steigernder Abschnitt zu einem Orchestertutti mit Anklängen an den ersten Satz. Der dritte Satz greift ebenfalls wieder Strukturen des Anfangs auf, jetzt aber in äußerst rascher Bewegung. Als dieses ich am Ende zu verlieren scheint, setzt eine kurze Coda einen schwungvollen Schlußpunkt.

RP. In: Programmheft zur UA im Festkonzert zum dreißigjährigen Bestehen des Orchesters des Hans-Otto-Theaters Potsdam am 3.9.1977, Sanssouci, Bildergalerie

NACHTSTÜCK für Klavier      |   | 

Für die XIX. Leipziger Chopin-Tage 2009 hat die Neue Leipziger Chopin-Gesellschaft e. V. wieder eine Komposition in Auftrag gegeben: Heute Abend wird das „Nachtstück“ für Klavier solo von Reinhard Pfundt uraufgeführt. Ihren Namen erhielt die Komposition in Anlehnung an das Nocturne für Violoncello und Klavier von Bohuslav Martinů, das auch den motivischen Ausgangspunkt bildet. Das Werk ist dreiteilig angelegt: Im ersten Teil kommen die düsteren Akkorde zu einer großen Steigerung, gefolgt von einem polyphonen lyrischen Mittelteil. Dann wird das Thema des ersten Teiles wieder aufgegriffen, nur in rascherer Folge. Stilistisch hat sich Pfundt hier Martinů angenähert, obgleich es nie sein Ziel war, den Stil Martinůs zu kopieren. „Chopin hat mindestens genauso viel Einfluss wie Martinů“, so Reinhard Pfundt über seine Komposition.

Birgit Hendrich. In: Programmheft zu den XIX. Leipziger Chopin-Tagen – „Fryderyk Chopin & Bohuslav Martinů“, 8.–11. Oktober 2009

NEUN GALGENLIEDER für gemischten Chor      |   | 

Sie sind nun hundert Jahre alt und werden täglich älter, doch behielten sie ihre provokante und amüsante Frische und Aktualität. Die Literaturwissenschaft ordnet die Galgenlieder der Nonsens-Dichtung zu, doch „es kann von Unsinn nirgends die Rede sein; jedes Gedicht hat Hand und Fuß, man muss sich nur die Mühe nehmen, sich in die Grundsituation zu versetzen“, schreibt Christian Morgenstern. Der existenzielle Fragen berührende Sinn erschließt sich jedoch nicht jedem sofort und in gleicher Weise. Nachdenken ist notwendig. Erklärungen wollte Morgenstern nicht geben. „Alle Erklärung ist Verdunkelung“, heißt es in seinem Entwurf zum „Galgenkatechismus“.

Musik kann einen anderen Zugang eröffnen, nicht nur über den Verstand, sondern auch über das Gefühl. Sie kann Morgensterns fiktiven Akteuren, Bildern und Geschichten Leben und Wirklichkeit verleihen, sie tatsächlich handeln und geschehen lassen. Im sinnlichen und emotionalen Miterleben kann sich für die Hörenden auch ein Sinn für die Bedeutung der Gedichte entwickeln. Ich habe versucht, die richtigen musikalischen Mittel zu finden und einzusetzen, die so wie Morgensterns Texte lapidar das Wesentliche treffen und gleichermaßen auch Vergnügen bereiten können. – Res severa verum gaudium.

RP. In: Programmheft zur EA der Neufassung durch das Ensemble vocal modern unter der Leitung von Christfried Brödel am 30.1.2020 im Deutschen Hygiene-Museum Dresden

NEUN SÄTZE ZU DEUTSCHEN VOLKSLIEDERN für Streichorchester      |   | 

In deutlichem Kontrast zur Musik des 18. Jahrhunderts steht die von uns ins Programm aufgenommene Komposition des Leipzigers Reinhard Pfundt, die er bescheidenerweise „Neun Sätze zu deutschen Volksliedern“ nennt. Dabei sind wahrscheinlich nicht so sehr Liedsätze im klassischen Sinn gemeint, sondern musikalische Kommentare, Erweiterungen und Auslegungen. Aus den alten (!) Liedern gewonnene Bausteine und textgegebene Impulse werden zu einem Umfeld verwoben, das völlig neue, aber überzeugende Gesichtspunkte ergibt, z. B. wenn bei „Es taget vor dem Walde“ mit einer Beschränkung auf nur fünf Töne gezeigt wird, wie die Vögel morgens schlaftrunken ihren Gesang beginnen und ein vielstimmig jubilierendes Konzert aufbauen. Oder nehmen wir „Es geht ein‘ dunkle Wolk‘ herein“: ein Tag ist ebenso grau wie die Gemütsverfassung, der Regen – dargestellt durch Pizzicato-Spiel der Violinen – verdichtet sich und vergeht wieder… Das ist wie eine Reflexion alltäglich vorkommender Dinge des Lebens.

Horst Becker. In: Programmheft des Kammerorchesters Döbeln zu den Konzerten am 19. und 20.6.1999 in Großweitzschen und Döbeln

SERENADE für Flöte (bzw. Violine), Altflöte (bzw. Violine oder Viola) und Violoncello      |   | 

Die Serenade entstand 1979 für das Potsdamer Flötentrio in der Besetzung Querflöte, Altquerflöte und Violoncello. Die Uraufführung fand 1980 innerhalb der Reihe „Serenaden im Schlüterhof“ in Berlin statt.

Da die Triobesetzung mit Altquerflöte selten anzutreffen ist, wurde die Komposition von vornherein so angelegt, daß die Altquerflöte durch eine Violine ersetzt werden kann. In dieser Version erklang die Serenade zum erstenmal 1984 im Alten Rathaus zu Leipzig. Auch in einer Einrichtung für zwei Violinen und Violoncello wurde das Werk schon gespielt.

„Serenaden“ sind seit über vierhundert Jahren in der Musik anzutreffen. Der Titel bezeichnet meist heitere, unterhaltsame Musikstücke, die oft auch im Freien gespielt wurden. An einen solchen freundlichen Gestus knüpft auch diese Serenade an. „Ruhige Gelassenheit“ und lebendiges, temperamentvolles Musizieren wechseln einander ab. Die dabei waltende kompositorische Strenge (wie z. B. mannigfache Spiegelungen und Symmetrien im ersten und dritten Satz, der sich in drei Stufen intervallisch vergrößernde und zeitlich verknappende Kanon des zweiten Satzes, die verwandelte Wiederkehr des Materials der Sätze 1–3 im vierten) kommt nicht vordergründig zur Erscheinung.

RP. In: Programmheft zum Jubiläums-Konzert des Sächsischen Musikbundes mit Christian Sprenger (Flöte), Hans-Werner Mehling (Violine) und Anna Niebuhr (Violoncello) am 9.6.1997 in Leipzig, Alte Handelsbörse

SIEBEN GESÄNGE für Mezzosopran, Flöte und Harfe      |   | 

Komplementär zu satirischen Gedichten von Christian Morgenstern (1871–1914) – denen sich Reinhard Pfundt in seinen „Neun Galgenliedern“ für gemischten Chor widmet – stehen „seidene Verse“ des Dichters, die von einer oft melancholisch gefärbten Natur-, Liebes- und Bekenntnislyrik geprägt sind. Ihnen wendet sich der Leipziger Komponist […] in seinem 1975/80 geschaffenen siebenteiligen Liederzyklus für Mezzosopran, Flöte und Harfe zu.

Allein schon die Besetzung vermag wichtige Intentionen der Literatur in musikalischen Ausdruck zu verwandeln. Darüber hinaus setzt Reinhard Pfundt konsequent gehandhabte Intervall- und Tondauernfolgen zur Gestaltung von lyrischen Bildern und Stimmungen ein. Wenn beispielsweise im dritten Lied die Sehnsucht nach Freiheit und einem weiten Horizont angesprochen wird, steigert sich der Tonraum sukzessive vom Einzelton d aus über Terzschichtungen und einen vierteiligen Quintenturm bis zur sechsfach übereinandergesetzten Oktave, während die Tondauern der Flöte auf das ebenfalls Sechsfache anwachsen. Der Wind, als gleichgerichtetes Symbol und „liebster Genoß“, verbindet sich hingegen in den Rahmenteilen mit jeweils konstanten Tonreihen und rhythmisch durchgängiger Aktivität, die als Zusammenhang stiftendes Moment über bloße Tonmalerei hinausweist und den Wunsch immer neu formulieren hilft, sich über eingrenzende Zwänge zu erheben.

Christoph Sramek. In: Programmheft zum 5. Rathauskonzert des MDR am 18.2.1995 in Leipzig


Zwei der Gesänge (Auf leichten Füßen und Wind, du mein Freund) entstanden bereits 1975 noch während des Kompositionsstudiums als vokaler Beitrag für das Staatsexamen. Im Jahre 1980 wurde der Zyklus auf Anregung der Sängerin Anne-Kristin Mai komplettiert und von ihr in Halle uraufgeführt. Die ersten vier Gesänge wurden 1994 überarbeitet.

In den Texten Christian Morgensterns verbinden sich Naturerlebnis, innere Empfindung und gedankliche Reflexion zu tiefer Einheit. Luft, Licht und Sonne, Morgen und Abend oder die Vögel des Himmels sind Auslöser wechselnder Gefühle. Sinnfällige musikalische Strukturen verdeutlichen die Textaussagen. So veranschaulicht die der Singstimme im Kanon folgende Flöte im ersten Gesang das mitfühlende Herz, chromatische Skalenbewegungen im vierten die durch den Abend treibenden Schwalben, symmetrische Klangbildungen das heitre Gleichgewicht im fünften. Beim Lobpreis des Weiten Horizonts weitet sich der Tonraum vom Zentralton d‘ aus bis zur sechsfachen Oktave. Der Wind bildet den Rahmen des Zyklus; er singt im ersten Stück in der Harfe und pfeift im letzten „weckend“ auf der Flöte.

RP. In: Programmheft zum Konzert Begegnungen mit Herbert Schramowski am 5.11.2007 im Schumannhaus Leipzig

SONATE für Viola      |   | 

Die in technischer Hinsicht sehr anspruchsvolle Sonate für Viola entstand 1977/78. Sie wurde anläßlich eines Kammermusikwettbewerbes für junge Komponisten zu den DDR-Musiktagen 1978 mit einem Diplom ausgezeichnet und von Alfred Lipka in Berlin uraufgeführt, danach auch für die Schallplatte produziert.

Die Sonate wird in den beiden Ecksätzen durch starke Kontraste und konflikthafte Gestaltung geprägt. Der kantable Mittelsatz schafft dazu mit expressiver Melodik den Ausgleich. Die thematischen und tonartlichen Gegensätze des klassischen Sonatensatzes sind im ersten Satz der Bratschensonate auf andere Gestaltungselemente übertragen. Anstelle der beiden Themen werden zwei in jedem Ton unterschiedliche Sechstonreihen in mehrfachem Wechsel gegeneinander ausgespielt. Die eine – metrisch frei – beginnt leise und nimmt bei wiederholtem Auftreten an Ausdehnung und Lautstärke zu, die andere – metrisch gebunden und um einen Zentralton gruppiert – nimmt entsprechend ständig ab. Am Ende haben beide Sechstonreihen den anfänglichen Habitus der jeweils anderen angenommen. Gleichzeitig vollzieht sich stufenweise eine Verkleinerung der vorherrschenden Intervalle von der expansiven großen Septime bis zum fragenden Tritonus.

Der Zerrissenheit des ersten Satzes wird im zweiten eine ausgreifende melodische Linie entgegengesetzt, die sich steigert, jedoch plötzlich zusammenzuckt und zu dem gleichen Ende wie der erste Satz, nämlich zu einem hohen, dünnen Flageoletton, führt. Im dritten Satz treten huschende Figuren einerseits und kräftige, akkordgestützte Melodik andererseits in Beziehung zu Elementen der beiden vorangegangenen Sätze und bringen die Sonate zu einem virtuosen Abschluß.

RP. In: Programmheft zum 26. Außergewöhnlichen Konzert des Sächsischen Musikbundes am 13.10.1997 in Leipzig, Alte Handelsbörse.

STREICHQUARTETT (Nr. 1)      |   | 

Wie man weiß, ist es dem avantgardistischen Musikdenken auch gelungen, das Streichquartett gattungsgeschichtlich und aufführungspraktisch an den Rand des Verstummens zu drängen. Doch gegen alle mehr oder weniger plausible theoretische Argumente regeneriert sich gerade diese Gattung aus den noch immer kräftigen Impulsen einer großen Tradition und handfesten Bedürfnissen zahlloser spezialisierter Ensembles. Diesen Musizierkonventionen will das Streichquartett von Reinhard Pfundt durchaus entsprechen, und zu seinen Vorzügen gehört, daß es als praktikables Angebot ohne spekulative Allüren und künstelnden Ehrgeiz auftritt. Es will zudem schon etwas heißen, wenn es einem jungen Komponisten gelingt, trotz mächtiger Vorbilder wie Bartók und Hindemith, trotz klassischer Formen und Zwölftontechnik das eigene Gesicht zu wahren. Da ist vor allem eine durchaus eigene programmatische Konzeption, die die beiden Sätze – im scharfen und dennoch vermittelten Kontrast – ins Verhältnis von Aktion und Reflexion, von Leidenschaft und Entsagung bringt. Der impulsive, motorisch-tokkatische Kopfsatz fügt sich entwickelnd zur sonatischen Bogenform aus dem Gegensatz von stürmender, rhythmisch hart akzentuierter Präludien-Motivik und kantabler, streng regulierter Fugenexposition. Der alternative langsame Satz gibt dazu die ebenso expressive wie hartnäckige Meditation über jene ostinaten Töne A-D-E, die in permutierten Formen, wie eine skandierte Devise, die musikalischen Gedanken motivieren. Der Schmerz des Abschieds wächst mit der heraufbeschwörenden Erinnerung an den ersten Satz, und dieses Bedenken erst macht ihn einsichtig, psychologisch wahr, ohne Frage nach wirklichen Anlässen. Wichtig ist allein, daß die Konstruktion Wirkungen entwickelt.

Frank Schneider. In: Programmheft zum Seminar DVfM (2) mit dem Mendelssohn-Quartett des Gewandhauses zu Leipzig im Klub der Intelligenz Leipzig am 9.2.1983

TRIO für Flöte, Viola und Violoncello      |   | 

Bei der Komposition des Trios für Flöte, Viola und Violoncello ging es mir nicht um spektakuläres Herausstellen von Unerhörtem, nicht um Erfindung überraschender oder gar schockierender Effekte, sondern um die Gestaltung eines Lebensprozesses, der sich mit Hilfe von Tönen und Tonbeziehungen dem Hörer als seelisches und geistiges Erlebnis mitteilen soll.

Das Trio ist einsätzig, läßt sich aber unschwer in vier Hauptteile gliedern. Im energischen ersten Teil, dem eine ruhige Einleitung vorausgeht, steht das heftige Doppelgriffspiel der Streicher im Vordergrund. Der kantable zweite Teil beginnt mit einer langen Solo-Passage der Flöte, die um einen Ton kreist und nacheinander Bratsche und Violoncello zur Nachahmung und zum Mittun animiert. Im dritten Abschnitt gibt es keinen gemeinsamen Taktschlag, die Töne sind auf einen symmetrischen Zehnklang fixiert, wobei die Bratsche dessen „Herzstück“, zwei große Terzen, ständig wiederholt. Deren gemeinsames Rahmenintervall, die große Septime, greift das Violoncello im vierten Teil auf und inszeniert ein lebhaftes Spiel, das oberflächlich zu werden droht. Eine Coda schlägt den Bogen zurück zur Einleitung.

RP. In: Programmheft zur UA am 28.8.1989 im 1. Kammerabend der Staatskapelle Dresden in der Semperoper

TRIOSONATE für Orgel      |   | 

Wie schon Bachs Triosonaten für Orgel BWV 525 bis 530 weist auch das für die Trost-Orgel der Altenburger Schlosskirche geschaffene und dort von Felix Friedrich 1989 uraufgeführte Werk drei Sätze auf, die allerdings ohne ausgedehnte Pausen ineinander übergehen. Am Anfang entsteht ein spürbarer Kontrast zwischen einem aus der Höhe absteigenden schnellen Viertonmotiv und einer von langen Notenwerten geprägten aufsteigenden Basslinie. Als auch die Mittelstimme in das musikalische Geschehen eingreift, beginnt eine Intensivierung. Dadurch werden die beiden unteren Stimmen bis zur Parallelführung gebracht, ehe der Schluss des Satzes über quintverwandte Dur-Dreiklänge zum Anfang zurückführt und leise verklingt.

Der spannungsgeladene Mittelteil geht von einer lautstarken Klangschichtung aus, die durch dissonant wirkende Tonsprünge noch geschärft wird. Rhythmische Aktivierungen und erneute Annährungen diesmal der beiden oberen Stimmen sorgen für eine weitere Zunahme der Energie, bevor sich auch hier der Bogen zum Satzbeginn schließt. Das Finale entfaltet demgegenüber einen durchgehenden Drive mit höchst virtuosem Impetus, so dass trotz des abschließenden Dur-Moll-Akkordes über dem Ton e der Eindruck eines virtuell weiterführenden Prozesses entsteht.

Wie bei Bach ist auch diese emotional berührende Musik von rationalem Kalkül hintergründet. Jeder Satz basiert auf einer in sich symmetrischen Zwölftonreihe, die getrennt nach den drei Stimmen in Grundform sowie in Sekund- und Tritonustransposition erscheint und in den jeweiligen zwei Anfangstönen der Oberstimmen der beiden Ecksätze das Tonsymbol b-a-/c-h in sich trägt.

Christoph Sramek. In: Programmheft zum Orgelkonzert mit dem Leipziger Universitäts-Organisten Daniel Beilschmidt in der Stadtkirche Burgstädt am 11.9.2010

VERTIEFUNG IN EIN THEMA VON BACH für Altblockflöte, zwei Violinen, Violoncello, Kontrabaß
und Cembalo      |   | 

Die Komposition wurde anläßlich des 250. Todestages von Johann Sebastian Bach für das Ensemble „barock a.c.c.u.u.t.“ geschrieben und bezieht sich auf das Thema des Contrapunctus I aus der „Kunst der Fuge“.

Der Verlauf des Themas wird in vier Abschnitten nachgestaltet: Die aus der aufwärts strebenden Quinte geborene spielerische und aktive Aufbruchstimmung der Violinen verliert sich allmählich zum melodisch von der Flöte dominierten elegischen zweiten Abschnitt hin, in welchem das Violoncello die fallende kleine Terz des Themas immer wieder ins Spiel bringt. Als die Bewegung fast zum Stillstand kommt, zitiert die Flöte das originale Thema. Das Cembalo bezieht aus dessen drittem Teil, der aufwärts führenden Viertonreihe mit verminderter Quarte, schmerzliche Impulse zu einer sich ekstatisch steigernden Entwicklung, die auf dem Höhepunkt abbricht und im vierten Abschnitt durch die vom Kontrabaß getragenen, unerbittlich wiederholt abwärts führenden Schritte des letzten Thementeils beantwortet und allmählich beruhigt wird. Eine Coda führt alle vier Teile des Themas noch einmal zusammen und gibt der Flöte Raum für individuelle Entfaltung.

Anfang ist Ende
Nein heißt Sterben
Tod ist Geburt
Ja heißt Leben
Ende ist Anfang

RP

VIER KLAVIERSTÜCKE      | 

Die vier Klavierstücke entstanden im Zeitraum von 1973 bis 1978. Die zweite dieser zweistimmigen Miniaturen – „Lebhaft“ – schrieb Reinhard Pfundt 1973 in Form eines Oktavkanons, die dritte – „Munter“ – 1975 als Zwölftonstudie. Der zuletzt komponierte erste Teil – „Schwingend“ – schafft dazu eine strukturelle Klammer durch die abermalige Verwendung des Kanons (diesmal aber im Abstand einer None) sowie des Reihenprinzips (allerdings ohne dodekaphone Ausprägung). Der abschließende Teil – „Ruhig“ – bildet dazu insgesamt ein Gegengewicht durch seine größere Dauer sowie eine Linienführung mit jeweils zwei Simultanintervallen, so daß sich eine Klangerweiterung zur Vierstimmigkeit ergibt.

Christoph Sramek. In: Programmheft zum Gemeinschaftskonzert des Tonkünstlerverbandes Sachsen und des Sächsischen Musikbundes am 12.10.1998 in der Alten Handelsbörse Leipzig

VIER MONOGRAMME für Altblockflöte    

Die „Vier Monogramme für Altblockflöte“ sind Antje Fleischmann gewidmet, die in den Jahren 1990 bis 1996 innerhalb ihres Blockflötenstudiums an der Hochschule für Musik und Theater Leipzig bei mir die Fächer Tonsatz und Komposition belegte. Als „Zugabe“ zum Studium verfasst, könnte die eine oder andere dieser Miniaturen mit Spieldauern zwischen 50 und 100 Sekunden vielleicht auch als Konzertzugabe Verwendung finden.

RP zur UA am 6.9.1999 im Museum für angewandte Kunst, Gera

ZWEI MADRIGALE für gemischten Chor a cappella      |   | 

Die beiden Madrigale entstanden in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts und wurden 1993 im Ebert Musik Verlag veröffentlicht. Ein Jahr zuvor hatte die Kölner Carl-Engels-Stiftung das Liedchen der Sehnsucht mit einem Preis ausgezeichnet.

Die Texte entnahm der Komponist Johann Gottfried Herders Volksliedersammlung von 1778/79. Sie sind aber noch wesentlich älter: Liedchen der Sehnsucht stammt aus der Sammlung des Paul von der Aelst von 1602; Ein altfranzösisches Sonett ist eine Dichtung des Grafen Thibault aus dem 13. Jahrhundert. Sowohl in der Auswahl sehr alter Liebesgedichte als auch im musikalischen Stil knüpft Reinhard Pfundt bei diesen Madrigalen ausdrücklich an die Chorkunst seines verehrten Lehrers Wilhelm Weismann an.

Christoph Sramek. In: Programmheft zu Konzerten des Sächsischen Musikbundes am 8., 9. und 17.6.2013 in Leipzig, Dresden und Chemnitz

ZWEI SOLFEGGIEN FÜR FRIEDRICH für Flöte    

Zu seinen beiden im Konzert erklingenden Kompositionen, die die vertonbaren Buchstaben von Friedrich II. zum Ausgangspunkt haben, erläutert Reinhard Pfundt: „Die beiden Solfeggien sind Übungen, keine Konzertstücke. Sie gehören musikalisch nicht zusammen, sondern sind zwei selbständige Einzelbeiträge für das Flötenbuch 70 Rheinsberger Solfeggien. Die Nummerierung ist zufällig. Das zweite Solfeggio orientiert sich im technischen Anspruch und in seiner Kürze an den entsprechenden Vorbildern Friedrichs des Großen, das erste ist etwas länger und benutzt auch neuere Spieltechniken.“

Christoph Sramek. In: Programmheft zu Neue Flötentöne. Konzert mit dem Münchner Flötentrio am 12., 13. und 14.4.2013 in Leipzig, Dresden und Chemnitz

Johannes Weyrauch

MORGENSTERNLIEDER. Bearbeitung für Mezzosopran und Streichquartett    

Johannes Weyrauch komponierte die Morgensternlieder (Zyklus II) im Jahre 1964 für Gesang und Klavier. Bei den Liedern III–V ist der Klaviersatz dreistimmig und Weyrauch merkte in der Partitur an: „ad lib. mit Begleitung von Violine, Viola und Violoncello“. Der Gedanke lag also nicht fern, den gesamten Zyklus für Streichquartett zu bearbeiten. Für die ersten beiden Lieder hätten drei Streichinstrumente nicht ausgereicht; bei den anderen wurden die drei Stimmen ohne Hinzufügungen auf die vier Instrumente ausgewogen verteilt.

RP

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